Ophthalmologische Relevanz bei Glaukom, Diabetischer Retinopathie und Altersabhängiger Makuladegeneration
Magnesium als zweiwertiges Kation ist an über 300 enzymatischen Reaktionen beteiligt und spielt eine zentrale Rolle in neuronaler Erregbarkeit, mitochondrialem Stoffwechsel und antioxidativen Schutzmechanismen. Die Chelatform Magnesiumbisglycinat kombiniert die physiologischen Effekte von Magnesium mit der neuroinhibitorischen und antioxidativen Wirkung von Glycin, was aus ophthalmologischer Sicht besonders interessant erscheint.​
Magnesiumbisglycinat zeichnet sich durch eine liganden-basierte Abschirmung des Kations aus, die die Absorption über Transportwege für neutrale Aminosäuren begünstigt und Magnesium vor präzipitierenden Reaktionen im Darmlumen schützt. Vergleichende Humanstudien zeigen, dass organische Magnesiumformen (Citrat, Chelate) deutlich bessere Bioverfügbarkeit aufweisen als anorganische Salze wie Oxid oder Carbonat, mit höheren Seruminkremente und Urinausscheidungen.​
Magnesiumdefizienz bei POAG: Spektralanalytische Untersuchungen zeigen konsistent erniedrigte Magnesiumspiegel in glaukomatösen Augen. In einer Moskauer Studie betrugen die mittleren Magnesiumkonzentrationen in der Sklera bei initialem/moderatem POAG 19,3 mg/L und bei fortgeschrittenem Glaukom 17,5 mg/L – verglichen mit 177 mg/L in normaler anteriorer Sklera (p < 0,001). Im Kammerwasser lag die mittlere Konzentration bei 5,9 mg/L (initial-moderat) bzw. 3,0 mg/L (fortgeschritten) versus 6,7 mg/L bei Kontrollaugen.​
Pathophysiologische Mechanismen: Magnesiumdefizite sind mit inflammatorischen, fibrotischen Reaktionen und erhöhtem oxidativem Stress im Trabekelwerk assoziiert. Die Dysfunktion dieser Gewebe basiert auf mitochondrialer Dysfunktion, erhöhter Kalziumsensitivität, ROS-Produktion und TGF-β2-Induktion mit konsekutiver chronischer Inflammation. Magnesium wirkt als physiologischer Kalziumkanalblocker, reduziert Kalziumeinstrom, erhöht Stickstoffmonoxid und induziert direkte und indirekte Vasodilatation durch Hemmung von Endothelin-1 (ET-1).​
Klinische Evidenz: Eine Interventionsstudie mit 22 POAG-Patienten (42-72 Jahre) zeigte nach 6-wöchiger Magnerot-Supplementation (Magnesiumorotat) statistisch signifikante IOP-Reduktionen: Goldmann-äquivalenter IOP sank um 3,3±0,4 mmHg, korneal-kompensierter IOP um 4,1±0,3 mmHg (p<0,05). Die Computerperimetrie demonstrierte eine signifikante Vergrößerung des Gesichtsfeldes von 426,5±7,8° auf 452,5±8,8° (p<0,05), insbesondere bei moderatem Glaukom.​
Eine marokkanische Studie mit 46 POAG-Patienten (mittleres Alter 54 Jahre, mittlerer IOP 16 mmHg) bestätigte nach 6-monatiger Magnesium-Supplementation signifikante Regression der Mean Deviation, IOP-Reduktion und Stabilisierung der RNFL- und GCC-Werte im OCT. Die Progressionsrate glaukomatöser funktioneller Schäden wurde deutlich reduziert.​
Bei Normal-Tension-Glaukom mit Flammer-Syndrom zeigte die retrospektive Analyse von 32 Patienten nach 6-wöchiger Magnesium-Supplementation (12 mmol täglich) reduzierte retinale Venendrücke durch verbesserte okuläre Hämodynamik.
 
															Serum-Magnesium als Risikofaktor: Multiple Studien belegen inverse Korrelationen zwischen
Serum-Magnesium und DR-Risiko. Eine indische Studie mit 104 Typ-2-Diabetikern zeigte mittlere Serum-Magnesiumspiegel von 1,63±0,30 mg/dL bei Retinopathie versus 1,76±0,22 mg/dL ohne Retinopathie (p=0,029). Patienten mit sight-threatening diabetischer Retinopathie (STDR) wiesen signifikant niedrigere Werte auf (1,55±0,33 mg/dL, p=0,031).
Eine ägyptische Fall-Kontroll-Studie mit 180 Patienten identifizierte Magnesium als unabhängigen Risikofaktor für diabetische Retinopathie. Serum-Magnesiumspiegel ≤1,5 mg/dL zeigten einen positiven prädiktiven Wert von 80% für DR mit Sensitivität 46,67% und Spezifität 88,33%.​
Diabetisches Makulaödem: Eine chinesische Studie mit 519 DR-Patienten untersuchte die Assoziation zwischen Serum-Magnesium und DME. Verglichen mit dem niedrigsten Magnesium-Quartil zeigten Patienten im vierten Quartil ein signifikant reduziertes DME-Risiko (OR 0,294; 95% CI 0,153-0,566; p<0,0001). Stratifizierte Analyse ergab, dass unter Insulin-pflichtigen Patienten mit nicht-proliferativer DR unter 66 Jahren jene im dritten und vierten Magnesium-Quartil deutlich geringere DME-Wahrscheinlichkeit aufwiesen (OR 0,095 und 0,057).​
Mechanismus: Magnesium-Supplementation verbessert vaskuläre Endothelfunktion und reduziert vaskuläre Entzündung. Erniedrigte Magnesiumspiegel führen zur Aggravation retinaler vaskulärer Endothel-Inflammation mit resultierender endothelialer Dysfunktion und gestörter Permeabilität.​
Die Evidenz für Magnesium bei AMD ist weniger robust als bei Glaukom und DR. Eine systematische Review identifizierte erhöhte Magnesium-Aufnahme als mit reduziertem Progressionsrisiko von früher zu später AMD assoziiert (hohe Evidenzsicherheit). Die Mechanismen umfassen antioxidative Effekte, Verbesserung der retinalen Mikrozirkulation und Reduktion oxidativen Stresses. Eine schlechte retinale Mikrozirkulation, die die adäquate Nährstoffversorgung verhindert, ist ein durch Magnesiumspiegel beeinflussbarer AMD-Faktor.​
Die Retina weist aufgrund hohen Sauerstoffumsatzes, PUFA-reicher Membranen und permanenter Lichtexposition extreme oxidative Belastung auf. Das retinale Pigmentepithel übernimmt zentrale Aufgaben wie Phagozytose der Photorezeptor-Außensegmente und den Retinoid-Zyklus. A2E, ein toxisches Nebenprodukt des Sehpigmentzyklus, induziert oxidative Schäden im RPE.​
Glutathion-System: Magnesium ist essenzieller Kofaktor mehrerer Enzyme des Glutathion-Systems. Tierexperimentelle Arbeiten zeigen, dass induzierter Magnesiummangel oxidativen Stress verstärkt und antioxidative Enzymaktivität reduziert. Glycin ist die dritte, häufig limitierende Aminosäure der GSH-Synthese. Eine interventionelle Studie mit älteren Erwachsenen demonstrierte, dass Glycin-Supplementation in Kombination mit N-Acetylcystein mitochondriale Funktionen verbessert und GSH-Spiegel erhöht.​
Die synergistische Wirkung von Magnesiumbisglycinat ergibt sich aus Magnesium als Kofaktor antioxidativer Enzyme und Glycin als Substrat der Glutathionsynthese. Beide Komponenten unterstützen ATP-abhängige Phase-II-Entgiftungsprozesse, einschließlich glutathionabhängiger Konjugationen durch Glutathion-S-Transferasen.​
NMDA-Rezeptor-Blockade: Magnesium blockiert spannungsabhängige NMDA-Rezeptoren und reduziert exzitotoxischen Stress, was für retinale Ganglienzellen bei Glaukom besonders relevant ist. Dieser Mechanismus schützt Zellen gegen kalzium-vermittelte Apoptose.​​
Schlaf und zirkadiane Regulation: Eine randomisierte Doppelblindstudie bei 46 älteren Personen mit Insomnie zeigte nach 8-wöchiger Magnesium-Supplementation (500 mg/Tag) verbesserte Schlafdauer und -latenz sowie erhöhte Melatonin-Serumspiegel. Glycin (3g vor dem Schlafengehen) verbessert subjektive Schlafqualität und reduziert Tagesmüdigkeit. Für die Retina ist ausreichender Schlaf essentiell, da oxidative Schäden während nächtlicher Regenerationsphasen repariert werden.​
Diagnostik: Bei Risikopatienten für Glaukom, DR oder AMD sollten Serum-Magnesiumspiegel bestimmt werden. Werte ≤1,5 mg/dL sind mit erhöhtem DR-Risiko assoziiert. Auch die Analyse von Kammerwasser bei intraokularen Eingriffen könnte diagnostische Relevanz haben.​
Supplementation: Basierend auf den vorliegenden Studien erscheinen Dosierungen von 300-500 mg elementarem Magnesium täglich sinnvoll. Die Chelatform Magnesiumbisglycinat bietet Vorteile durch höhere Bioverfügbarkeit und gastrointestinale Verträglichkeit. Abendliche Einnahme ist pharmakodynamisch plausibel: Magnesium senkt abendliche Neuronenerregbarkeit, Glycin unterstützt Einschlafen und dient nachts als Substrat für GSH-abhängige Regenerationsprozesse in Retina und RPE.​​
Kontraindikationen: Bei Niereninsuffizienz ist Vorsicht geboten; Supplementation sollte nur unter ärztlicher Kontrolle erfolgen.​
Während für Glaukom und diabetische Retinopathie solide klinische Evidenz für Magnesium-Effekte vorliegt, fehlen spezifische randomisierte kontrollierte Studien mit Magnesiumbisglycinat als definierter Intervention für ophthalmologische Endpunkte. Zukünftige Studien sollten einschließen:
Vergleichsstudien verschiedener Magnesiumformen (Bisglycinat vs. Citrat vs. Orotat)
Standardisierte Dosierungen und Behandlungsdauern
Objektive retinale Biomarker (OCT-Parameter: RNFL, GCC, makulare Dicke; Fundusautofluoreszenz; retinale Durchblutungsmessung)
Funktionelle Endpunkte (Gesichtsfeld-Progression, Visus, Kontrastempfindlichkeit)
Langzeit-Follow-up ĂĽber mindestens 12-24 Monate
Mechanistische Studien zu GSH-Spiegeln in Erythrozyten/Vollblut unter Magnesiumbisglycinat
Magnesiumbisglycinat kombiniert die vasoaktiven, neuroprotektiven und antioxidativen Eigenschaften von Magnesium mit den inhibitorischen und glutathion-synthetisierenden Effekten von Glycin. Die klinische Evidenz für Magnesium-Supplementation bei Glaukom ist bemerkenswert robust, mit konsistenten IOP-Reduktionen, Gesichtsfeld-Verbesserungen und Stabilisierung struktureller Parameter. Bei diabetischer Retinopathie zeigen multiple Studien inverse Korrelationen zwischen Serum-Magnesium und DR-Risiko sowie DME-Prävalenz, wobei Magnesiumdefizite als unabhängiger Risikofaktor identifiziert wurden. Die Evidenz für AMD ist mechanistisch plausibel, aber weniger robust.
 
															Aus augenärztlicher Sicht sollte bei Patienten mit Glaukom (insbesondere Normal-Tension-Glaukom und vaskulären Dysregulationssyndromen), diabetischer Retinopathie, diabetischem Makulaödem und AMD-Risiko der Magnesiumstatus systematisch evaluiert werden. Die Supplementation mit Magnesiumbisglycinat in Dosierungen von 300-500 mg elementarem Magnesium täglich, vorzugsweise abends, erscheint als sichere und potentiell wirksame adjuvante Maßnahme. Die synergistische Kombination aus Magnesium und Glycin bietet theoretische Vorteile gegenüber einfachen Magnesiumsalzen, wobei dedizierte klinische Studien zur Bestätigung dieser Annahme wünschenswert sind. Die Integration von Magnesium-Status und -Supplementation in die ophthalmologische Präventions- und Therapiestrategie verdient zunehmende Beachtung als modifizierbarer Risikofaktor mit nachweisbaren funktionellen und strukturellen Effekten.
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